Pilot II

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Pilot II

Zur Entstehung der deutschen Lautentabulatur


Die Studie ist ein vertiefter interdisziplinärer Ansatz zu Aufführungspraxis und Musikwissenschaft. Die “Erfindung” eines Notationssystems für die Laute wirft einige Fragen auf: Ausgehend von den Prinzipien der “Orgeltabulatur” und aufbauend auf einer etwa hundertjährigen Tradition, übernahm die deutsche Lautentabulatur einen Zeichenvorrat, den sie erweiterte. Anhand von überlieferten Tabulaturen aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert wird in dieser Pilotstudie die Entwicklung und der Anpassungsprozess untersucht, der schließlich zu einem Tabulatursystem führte, das allgemein als “Deutsche Lautentabulatur” bezeichnet wird. Wir interessieren uns:
i) für die Übernahme von Symbolen und Prinzipien der Orgeltabulatur für die Laute und andere (Streich-)Instrumente;
ii) für praktische Bedeutung von zusätzlichen Symbolen in Tabulaturen.
Die Quellen aus dem 15. Jahrhundert (Kasseler ‘Collum Lutine’, Ende des 15. Jahrhunderts, Regensburger Zeichnung, ca. 1470, Wolfenbütteler Lautentabulatur-Fragmente c. 1460) stellen eine Mischung aus Prinzipien dar, die von “Orgel”- und (späteren) “Lautentabulaturen” des 15. Jahrhunderts bekannt sind (Kirnbauer 2001, 2003a; Lewon 2016, 2013&2017). Obwohl die Bund-Notation und die Noten-Buchstaben- Notation prinzipiell auf entgegengesetzten Ansätzen beruhen, verrät ihre Kombination und Anwendung auf die Laute die Flexibilität der Schreiber des 15. Jahrhunderts: Um den praktischen und idiomatischen Bedürfnissen eines anderen (Saiten-) Instruments gerecht zu werden, wurden beide Notationsarten kreativ angepasst. Dabei wurde das abstrakte Konzept der absoluten Tonhöhen auf die Idee der relativen Tonhöhen (oder Bundpositionen) übertragen.

Diese Praxis zieht sich ins 16. Jahrhundert weiter, als die Notationsprinzipien der “Älteren Deutschen Orgeltabulatur” für die Harfe “appliziert” wurden (D-LEm I.191, ca. 1540) und Harfenisten auch nach Lautentabulaturen spielten. Auch die Amateur-Spieler der Renaissance-Gambe benutzten deutsche Lautentabulaturen im Ensemblespiel, wie Wiltzell und Gerles Musica Teusch 1532 belegen (siehe Kirnbauer 2003c und Lewon 2020). Diesen universellen Charakter der deutschen Lautentabulatur untersuchen wir im Kontext der Aufführungspraxis. Ähnlich werden Zusatzzeichen in Handschriften erforscht und erläutert (reiche Beispiele dafür gibt Blindhamers Lautentabulatur, Kirnbauer 2003b). Die Deutsche Lautentabulatur weist darüber hinaus Eigenheiten auf, die in anderen Lautentabulatursystemen nicht zu finden sind und die sich auf die Aufführungspraxis auswirken können. Dazu gehören das Beamen von kleinen Notenwerten (“Leiterlein”), die relative Position der Notationssymbole (die auf die Stimmführung oder einfach auf einige Schreibgewohnheiten hindeuten kann), unterschiedliche Darstellungsweisen von Bundpositionen (die auf das Kopieren von verschiedenen Vorbildern hinweisen können), sowie zusätzliche Symbole, die die Fingersätze der linken und rechten Hand, Verzierungen und Hinweise auf die Stimmführung anzeigen oder als Lesehilfe fungieren. Zusätzlich zu den Tabulaturen des 15. Jahrhunderts umfasst diese Studie die Tabulaturen PL-Kj 40154, vergleichende Analysen mit IPESo, Ms. 1144, F-Pn, Rés. Vmd. ms. 27, sowie die Diskussion der Drucke von Schlick, Virdung, Judenkünig und Gerle.
Nachdem TabMEI für die Deutsche Lautentabulatur in unserem Projekt erst geschaffen wird, bietet diese Studie eine Approbation und den nächsten Schritt in der praktischen und theoretischen Verarbeitung von Zeichensystemen dieser Tabulatur an.